Vertrag von Maastricht

Vertrag von Maastricht (Schriftform)

Als Vertrag von Maastricht wird das Vertragswerk bezeichnet, das unter anderem die ursprüngliche Fassung des Vertrags über die Europäische Union (EUV) enthält.

Der Vertrag von Maastricht wurde am 7. Februar 1992 im niederländischen Maastricht vom Europäischen Rat unterzeichnet. Er stellt den bis dahin größten Schritt der europäischen Integration seit der Gründung der Europäischen Gemeinschaften (EG) dar.

Mit diesem Vertragswerk, das an die Stelle der 1957 geschlossenen Römischen Verträge trat, wurde die Europäische Union (EU) als übergeordneter Verbund für die Europäischen Gemeinschaften, die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres gegründet.

Abgesehen von dem eigentlichen EU-Vertrag enthält der Vertrag von Maastricht auch Bestimmungen zu umfassenden Änderungen der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, also des EG-Vertrags, des EURATOM-Vertrags und des damals noch in Kraft befindlichen EGKS-Vertrags. Er trat am 1. November 1993 in Kraft. Der damit geschaffene Rechtsstand wurde zum 1. Mai 1999 durch den Vertrag von Amsterdam erneut geändert.

Einführung

Erinnerungsstele in Maastricht

Nach Verhandlungen, die im Dezember 1991 in Maastricht stattfanden, wurde der Vertrag am 7. Februar 1992 unterzeichnet. Wegen einiger Hindernisse im Ratifizierungsverfahren (Zustimmung der dänischen Bevölkerung erst in einem zweiten Referendum; Verfassungsklage in Deutschland gegen die parlamentarische Zustimmung zum Vertrag) konnte er erst am 1. November 1993 in Kraft treten. Er bezeichnet sich selbst als „eine neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas“.

Er beinhaltet neben einer Reihe von Änderungen des EG-Vertrages und des Euratom-Vertrages den Gründungsakt der Europäischen Union (vgl. Präambel des EU-Vertrags), ohne diesen selbst zu vollenden. Es war – wie auch die Entwicklung der EG – ein erster Teilschritt auf dem Weg hin zu einer EU-Verfassung, die die EU-Verträge später ersetzen soll.

Die hiermit gegründete Europäische Union ersetzt nicht die Europäischen Gemeinschaften (Artikel 47 EU-Vertrag), sondern stellt diese mit den neuen „Politiken und Formen der Zusammenarbeit“ (Artikel 2 EU-Vertrag) unter ein gemeinsames Dach. Zusammen mit anderen Elementen bilden die Europäischen Gemeinschaften die drei Säulen der Europäischen Union:

Saeulenmodell EU.svg

Zeitliche Einordnung

Unterz.
In Kraft
Vertrag
1948
1948
Brüsseler
Pakt
1951
1952
Paris
1954
1955
Pariser
Verträge
1957
1958
Rom
1965
1967
Fusions-
vertrag
1986
1987
Einheitliche
Europäische Akte
1992
1993
Maastricht
1997
1999
Amsterdam
2001
2003
Nizza
2007
2009
Lissabon
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Europäische Gemeinschaften Drei Säulen der Europäischen Union
Europäische Atomgemeinschaft (Euratom)
Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) Vertrag 2002 ausgelaufen Europäische Union (EU)
    Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) Europäische Gemeinschaft (EG)
      Justiz und Inneres (JI)
  Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS)
Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP)
Westunion (WU) Westeuropäische Union (WEU)    
aufgelöst zum 1. Juli 2011
                     


Inhalt des Vertrages

Währungs- und Wirtschaftsunion

Defizit / Überschuss Europäischer Staatshaushalte bis 2011 in % des BIP

Im Mittelpunkt des Vertrages stehen Änderungen des EG-Vertrages, in den insbesondere die Bestimmungen zur Schaffung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion in drei Stufen eingefügt werden. Laut Vertragstext sollte frühestens zum 1. Januar 1997, spätestens zum 1. Januar 1999 in der EU eine gemeinsame Währung (Euro) eingeführt werden. Damit ein Land an der Währungsunion teilnehmen kann, muss es bestimmte wirtschaftliche Kriterien (die EU-Konvergenzkriterien, auch als Maastricht-Kriterien bezeichnet) erfüllen, durch die die Stabilität der gemeinsamen Währung gesichert werden soll. Dabei handelt es sich um Kriterien, die Haushalts-, Preisniveau-, Zinssatz- und Wechselkursstabilität gewährleisten sollen. Das Kriterium der Haushaltsstabilität (Defizitquote unter 3 % und Schuldenstandsquote unter 60 % des BIP) wurde als dauerhaftes Kriterium ausgelegt (Stabilitäts- und Wachstumspakt), die anderen Kriterien müssen Mitgliedstaaten nur vor der Euro-Einführung erfüllen.

Im Vertrag war festgelegt, dass Länder, die die Konvergenzkriterien erfüllen (worüber der Ministerrat zu entscheiden hat), dem Euro nach dieser Zeit beitreten müssen. Lediglich Großbritannien und Dänemark behielten sich das Recht vor, selbst über den Beitritt zur Währungsunion zu entscheiden (sog. opting out).

Der Euro wurde am 1. Januar 1999 als Buchwährung eingeführt (am 1. Januar 2002 als Bargeld); ab dem 1. Januar 1999 waren die Wechselkurse zwischen den beteiligten Währungen fixiert.

Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik

Die bisherige Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) wird mit dem Vertrag von Maastricht durch die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) ersetzt. Obwohl die GASP eine Säule der EU darstellt, bleiben die Entscheidungen letztlich in den Händen der Nationalstaaten. Für die meisten Beschlüsse gilt deshalb das Einstimmigkeitsprinzip.

Unionsbürgerschaft

Mit dem Vertrag wurde die Unionsbürgerschaft eingeführt. Sie ersetzt nicht die Staatsbürgerschaft, sondern ergänzt diese. Die Unionsbürgerschaft erhält jeder, der die Staatsbürgerschaft eines der Mitgliedsstaaten der EU besitzt. Er erhält damit unter anderem eine Aufenthaltserlaubnis in der gesamten Union, das aktive und passive Kommunalwahlrecht im Wohnstaat, sowie das Recht, das Europäische Parlament unabhängig von der Staatsbürgerschaft in der gesamten EU jeweils am Wohnsitz zu wählen.

Außerdem erhielten Unionsbürger das Recht, Petitionen an das Europäische Parlament zu richten, wo zu diesem Zweck ein Petitionsausschuss gegründet wurde. Als Ansprechpartner bei Beschwerden wurde das Amt des Europäischen Bürgerbeauftragten eingerichtet.

Demokratisierung

Eine weitere Neuerung ist die Einführung des Mitentscheidungsverfahrens. Damit wurde das Europäische Parlament in einigen Bereichen auf die gleiche Stufe wie der Ministerrat gestellt. Außerdem wurden erstmals die europäischen politischen Parteien vertraglich anerkannt, was eine Finanzierung der europaweiten Parteibündnisse aus EU-Mitteln ermöglichte.

Ferner wurde die Einrichtung des Ausschusses der Regionen beschlossen, der eine angemessene Vertretung der Regionen, wie etwa in Deutschland der Bundesländer, garantieren soll.

Zusammenarbeit in der Innen- und Rechtspolitik

Außerdem wurde im Vertrag eine Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich der Justiz und des Inneren beschlossen. Wie bei der zweiten Säule, der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, blieb aber auch in diesem Bereich das Einstimmigkeitsprinzip weitgehend erhalten. Für die bessere Koordination der polizeilichen Zusammenarbeit wurde die Europäische Polizeibehörde Europol gegründet.

Protokoll über die Sozialpolitik

Dem Vertrag von Maastricht waren ein Protokoll über die Sozialpolitik und ein Abkommen zwischen elf der damaligen Mitgliedstaaten (ohne Großbritannien) beigefügt, mit dem erweiterte gemeinschaftliche Zuständigkeiten insbesondere zur Setzung arbeitsrechtlicher Mindestnormen und bei der Förderung des Sozialen Dialogs auf Gemeinschaftsebene geschaffen wurden. Großbritannien hatte sich als einziger Mitgliedstaat gegen diesen (vergleichsweise kleinen) Schritt zur Vertiefung der Integration im Bereich der Sozialpolitik ausgesprochen und eine Aufnahme in den Vertrag blockiert, sodass die übrigen Mitgliedstaaten diesen integrationspolitischen Zwischenschritt wählten.

Das Maastrichter Sozialprotokoll bzw. Sozialabkommen ist damit ein gutes Beispiel für eine Politik der abgestuften Integration (Europa der zwei Geschwindigkeiten), bei der nicht alle Integrationsschritte zur gleichen Zeit von allen Mitgliedstaaten vollzogen werden müssen. 1997 gab Großbritannien unter der neu gewählten Regierung von Tony Blair seinen Widerstand gegen eine vertiefte gemeinschaftliche Sozialpolitik auf, sodass der Text des Sozialabkommens mit dem Vertrag von Amsterdam als Artikel 137 ff. in den EG-Vertrag aufgenommen werden konnte. Das erste Gesetz, das durch den Sozialdialog angenommen worden ist, ist die Richtlinie 96/34/EG zum Elternurlaub.

Sonstiges

  • Mit dem Vertrag erhielten die europäischen Institutionen erstmals auch Zuständigkeiten im Bereich der Kultur (damals Art. 128 EG-Vertrag, seit dem Vertrag von Nizza Art. 151 EG-Vertrag). Die späteren Förderprogramme Raphael, Ariane und Kaleidoskop sowie das Rahmenprogramm Kultur 2000 haben hier ihre Rechtsgrundlage.

Kritik

Direkt nach seiner Unterzeichnung wurde von 62 deutschen Wirtschaftswissenschaftlern das eurokritische Manifest Die währungspolitischen Beschlüsse von Maastricht: Eine Gefahr für Europa veröffentlicht, in dem vor einer überhasteten und fehlerhaften Umsetzung der Vertragsinhalte gewarnt wurde. Kritisiert wurde vor allem die Einführung einer Währungsunion, da große makroökonomische Strukturunterschiede bestünden und nationale Interessen eine gemeinsame Preisstabilität erschweren könnten. Das Manifest der Professoren löste eine breite Diskussion aus, blieb politisch aber folgenlos.[1]

Die geforderten Regeln zur Reduktion der Staatsschulden standen in der Kritik, eine keynesianistische Wirtschaftspolitik unmöglich zu machen und damit die Rahmenbedingungen einer klassischen sozialdemokratischen Politik auszuschließen. Der Vertrag stieß daher auf starke Kritik in der Arbeiterbewegung und bei Gewerkschaften. Um die Kriterien zu erfüllen, mussten viele Länder der EU starke Kürzungen ihrer Ausgaben vornehmen, obwohl die EU-weite Arbeitslosenquote von 10 % schon vergleichsweise hoch war.[2] Die Kriterien standen im Verdacht, bloß ein Argument zur Durchsetzung einer neoliberalen Austeritätspolitik zu sein. Ralph Rotte und Klaus F. Zimmermann stellten in diesem Zusammenhang 1998 fest: „Es spricht viel für die Hypothese, dass die Regierungen Maastricht tatsächlich als Instrument nutzen, um fiskalische Zurückhaltung zu erzwingen.“[3][4]

Siehe auch

Literatur

  • Carl-Otto Lenz, Klaus-Dieter Borchardt (Hrsg.): EU-Verträge. Kommentar, Bundesanzeiger Verlag Köln, 5. Aufl. 2010 ISBN 978-3-89817-702-3
  • Jürgen Schwarze, Ulrich Becker, u. a.: EU-Kommentar, Nomos Verlag Baden-Baden, 2. Aufl. 2009 ISBN 978-3-8329-2847-6
  • Dietmar Herz, Christian Jetzlsperger: Die Europäische Union, C.H.Beck München, 2. Aufl. 2008 ISBN 978-3-406-57622-5

Weblinks

Anmerkungen

  1. Georg Kreis: Gerechtigkeit für Europa. Eine Kritik der EU-Kritik. Schwabe Verlag, Basel 2017, ISBN 978-3-7965-3743-1, S. 164. (eingeschränkte Vorschau bei Google-Books)
  2. Kate Hudson: The New European Left. Palgrave Macmillan UK, London, ISBN 978-1-349-32054-7, S. 7 ff., doi:10.1057/9781137265111.
  3. Ralph Rotte, Klaus F. Zimmermann: Fiscal Restraint and the Political Economy of EMU. In: Public Choice. Band 94, Nr. 3/4, 1998, ISSN 0048-5829, S. 385–406.
  4. Anne Karrass: Die Europäische Union als Beispiel für institutionalisierte (Sach-)Zwänge. In: Christoph Butterwegge, Bettina Lösch, Ralf Ptak (Hrsg.): Neoliberalismus. VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2008, S. 254, doi:10.1007/978-3-531-90899-1.