Autodidakt

Darstellung eines Berner Bauern beim Bibelstudium (Aquarell von Gabriel Lory, Anfang 19. Jhd.)
Junge Menschen beim Spiel auf einem Abenteuerspielplatz (1975)

Ein Autodidakt (altgriechisch αὐτός autos ‚selbst‘ und διδάσκειν didaskein ‚lehren‘) ist ein Mensch, der sich selbstständig Wissen oder Fertigkeiten aneignet beziehungsweise durch Beobachtung, Versuche, Übung oder Lektüre eigenständig erworben hat.

Ein gerichteter autodidaktischer Lernprozess wird auch als Selbststudium bezeichnet, in Abgrenzung zum formalisierten Studium an einer Hochschule.

Geschichte

Autodidakten können sich ihre gesamte Bildung, auch Fertigkeiten in der Technik, in Eigenregie aneignen, wie z. B. der Philosoph und Schriftsteller Jean-Jacques Rousseau, der Porsche-Gründer Ferdinand Porsche und der US-amerikanische Präsident Abraham Lincoln, oder nur auf einem anderen Gebiet als dem von ihnen erlernten, wie z. B. die Sprach- und Märchen­forscher Jacob und Wilhelm Grimm, die Juristen waren, oder Joseph Mallord William Turner, der sich sein gesamtes Wissen in dem Fach Malerei mit 14 Jahren selbst aneignete.

Zugeschrieben wird der Begriff Autodidakt dem deutschen Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz. Während seiner Tätigkeit als Bibliothekar in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel beschrieb er sich selbst in einem seiner Werke mit den Worten „erstens, dass ich fast ganz Autodidakt war“. Leibniz wird häufig als letzter Universalgelehrter bezeichnet und eignete sich die meisten seiner umfassenden Kenntnisse autodidaktisch an.

Seit sich im Laufe des 19. Jahrhunderts in Mitteleuropa die allgemeine Schulpflicht durchsetzte, nahm die Zahl der Menschen ab, die zwangsweise zum Autodidakten wurden, wenn sie sich bilden wollten. Auch wissbegierige, aber mittellose Personen und Frauen, denen seinerzeit der Zugang zu Gymnasium und Universität weitgehend verschlossen blieb, fanden als ernsthafte Autodidakten mitunter Anerkennung in Fachkreisen. Ein Beispiel dafür ist die Engländerin Mary Anning, die sich von einer armen, ungebildeten Fossilien­sammlerin zu einer der bedeutendsten Paläontologinnen des 19. Jahrhunderts entwickelte.

Leistungen

Autodidakten vollbringen mitunter beachtliche bis herausragende Leistungen, heute vor allem im Bereich der Kunst und der Fremdsprachen. Ein besonders ungewöhnlicher Autodidakt war der afroamerikanische Zeichner Bill Traylor, ein ehemaliger Sklave, der mit über 80 Jahren anfing zu zeichnen und weltberühmt wurde.

In Berufsfeldern, bei denen der Besuch eines Fachinstitutes weder die Regel noch zwingend vorgeschrieben ist, wie z. B. Schachspieler, Sportler, Künstler, wie Popmusiker, Rock-Gitarristen, Maler, Journalisten, Schauspieler oder Autoren belletristischer Literatur (reine Unterhaltungsliteratur), spricht man nicht von Autodidakten. Auch Akademiker, die ihr Studium abbrechen und infolge eigener Weiterbildung doch noch auf ihrem Gebiet erfolgreich werden, sind streng genommen keine Autodidakten, ebenso wenig Personen, die durch Privatlehrer ausgebildet wurden.

Personen, die mit geringen Mitteln oder aus dem Nichts und aus eigener Kraft zu wirtschaftlichem Erfolg kommen (wobei die Bildung keine Rolle spielt), nennt man dagegen Aufsteiger oder Self-made men.

Bekannte Autodidakten

Mit Hochschulstudium

Mit Elternhausförderung

Ohne abgeschlossenes Studium

Autodidakten als Thema im Spielfilm

Der Gefangene von Alcatraz (1962), Regie von John Frankenheimer: Ein lebenslang Einsitzender, Robert Stroud, der in der Einzelhaft Singvögel halten darf, reift durch Beobachtung, Lektüre und jahrelanges Experimentieren zum weltweit anerkannten Ornithologen und Fachbuchautor.

Siehe auch

Literatur

  • Holger Böning; Iwan-Michelangelo D'Aprile; Hanno Schmitt; Reinhart Siegert (Hrsg.): Selbstlesen, Selbstdenken, Selbstschreiben. Prozesse der Selbstbildung von „Autodidakten“ unter dem Einfluss von Aufklärung und Volksaufklärung vom 17. bis zum 19. Jahrhundert. Bremen 2015.
  • Heinrich Bosse: Die Stunde der Autodidakten. Deutsche Sprache und Literatur an der Universität Freiburg im 18. Jahrhundert. In: Zwischen Josephinismus und Frühliberalismus. Literarisches Leben in Südbaden um 1800. Hrsg. von Achim Aurnhammer. Rombach, Freiburg im Breisgau 2002 (= Literarisches Leben im deutschen Südwesten von der Aufklärung bis zur Moderne, Bd. 1), ISBN 3-7930-9284-4, S. 571–592.
  • Otto Luschnat: Autodidaktos. Eine Begriffsgeschichte. In: Theologia viatorum 8 (1962), S. 157–172.
  • Hans Rudolf Velten: Die Autodidakten. Zum Aufkommen eines wissenschaftlichen Diskurses über Intellektuelle gegen Ende des 17. Jahrhunderts. In: Intellektuelle in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Jutta Held. Fink, München 2002, ISBN 3-7705-3731-9, S. 55–81.
  • Albert Wittstock (Hrsg.): Autodidakten-Lexikon. Lebensskizzen derjenigen Personen aller Zeiten und Völker, welche auf aussergewöhnlichem Bildungs- und Entwicklungsgange sich zu einer hervorragenden Bedeutung in Kunst und Wissenschaft emporgearbeitet haben. A. Mentzel, Leipzig 1875.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Klaus Malettke: Die Bourbonen 2: Von Ludwig XV. bis Ludwig XVI. (1715–1792). Band 2, Kohlhammer, Stuttgart 2008, S. 81 [1]