Siegel

Siegellack, Siegel, Siegelstempel
Siegel und Siegelstempel des Aachener Marienstifts in Form einer Mandorla, Hans von Reutlingen, 1528
Siegelurkunde

Das Siegel (von lateinisch sigillum ‚Bildchen‘) ist ein Insigne und damit eine Form der Beglaubigung von Urkunden oder Sicherstellung (Verschluss) der Unversehrtheit von Gegenständen oder Behältnissen (z. B. Briefumschlag) mithilfe eines Siegelstempels (Typars), der in eine weiche, erhärtende Masse gedrückt wird (Siegelklumpen aus Siegellack, Siegelwachs, früher Ton etc.). Oft wird zwischen Siegel als Abdruck und Siegelstempel als Prägewerkzeug begrifflich nicht unterschieden. Mit der [rechtlichen] Funktion und Bedeutung von Siegeln befasst sich die Siegelkunde (Sphragistik).

Etymologie

Das Wort Siegel stammt von mhd. sigel ab. Dieses ist entlehnt aus lat. sigillum ‚Siegelabdruck‘, einem Diminutiv von signum ‚Zeichen, Kennzeichen, Bild im Petschaft‘.[1]

Geschichte

Sumerisches Rollsiegel und Abrollung

Die frühesten Stempelsiegel sind im Vorderen Orient nicht vor der Tell Halaf-Zeit nachzuweisen. Rollsiegel sind erstmals in Sumer zwischen 3200 und 3100 v. Chr. in der Uruk IV-Schicht belegt. Dies sind kleine Steinzylinder (Siegelsteine) aus Onyx, Lapislazuli, Achat oder anderen Stoffen, in die Figuren und Inschriften eingraviert (Siegelgravur) wurden. Die Größe schwankt zwischen 0,15 und 10 Zentimetern. Durch das Abrollen des Zylinders in eine weiche Masse (zum Beispiel Ton) entsteht der charakteristische Siegelabdruck. Etwa zeitgleich tauchten zwischen 1600 v. Chr. und 1500 v. Chr. im Alten Ägypten, in Ugarit sowie bei den Hethitern die Siegelringe auf, wobei der Siegelring in Mesopotamien nicht in Gebrauch war. Die asiatischen Siegel sind in Hartholz, Knochen, Elfenbein, Marmor, Speckstein oder Jade geschnitten.

Ton-Siegelabdrücke sind bei den Sumerern, Assyrern und Babyloniern (Rollsiegel), später bei Griechen und Römern zu finden, welche die Herrscher des Frühmittelalters übernahmen. Im Gegensatz zu den zylindrischen Rollsiegeln der Babylonier verwendeten Kreter und Hethiter das Petschaft mit Rundsiegel.[2]

Signatur einer Malerin, chinesisch

Noch mehr als im Orient (und später Europa), wo das Siegel immer den Charakter einer Beglaubigung behalten hat, ist in Ostasien das Siegel der eindeutige Identitätsnachweis – dort vertritt das Siegel bis heute die Rolle der eigenhändigen Signatur respektive der Unterschrift im westlichen Kulturraum. Die Bedeutung des Siegel ist so hoch, dass sich eine eigene altertümliche Schrift dafür erhalten hat, die Siegelschrift (Zhuanshu).

Siegel, seit der Antike oft Symbole königlicher oder adeliger Macht, führten zunächst Einzelpersönlichkeiten, dann Körperschaften. Kaisersiegel gab es in China ab dem ersten vorchristlichen Jahrtausend. In Byzanz gab es sie seit dem 6. Jahrhundert, Papstsiegel seit dem 9. Jahrhundert. Im frühen und hohen Mittelalter siegelten in Europa Kaiser, Könige, Angehörige des Adels sowie die Hohe Geistlichkeit. Etwa seit dem 13. Jahrhundert machten auch Bürger von dieser Art der Beglaubigung Gebrauch. Siegel geistlicher Korporationen sind schon seit dem 11. Jahrhundert, Städtesiegel seit dem Anfang des 12. Jahrhunderts (Trier 1113, Köln 1149) zu finden.

Metallsiegel, die Bullen, waren aus Gold, Blei oder (seltener) aus Silber. Sie waren im Heiligen Römischen Reich hauptsächlich den Päpsten (siehe Goldene Bulle Karls IV.) oder den byzantinischen Kaisern für Dokumente besonderer politischer und verfassungsrechtlicher Bedeutung vorbehalten. Bleibullen waren zumeist massiv, Goldbullen hingegen fast nie. Es handelte sich vielmehr um zusammengefügte Goldplättchen, welche mit verschiedenen Materialien (Wachs, Sägemehl u. a.) gefüllt waren. Massive Goldbullen sind lediglich aus dem byzantinischen Raum und dem normannischen Königreich Sizilien bekannt.

Wachssiegel trugen im Mittelalter die meisten Urkunden und Rechtsgeschäfte aller Art. Dabei wird das Siegel – Ring oder Stempel – in Siegelwachs gedrückt. Die Päpste sowie römisch deutschen Kaiser und untergeordnete Siegelführer unterschieden sich durch farbige Wachssiegel mit folgender Rangkennzeichnung:

Zweiseitiges Siegel des englischen Königs Edward I. (1239–1307)

Seit dem 16. Jahrhundert wurde auch Siegellack verwendet, der hitzebeständiger und härter als Wachs ist. Bereits seit dem 11. Jahrhundert wurden bildliche Darstellungen (z. B. Wappen) in Siegeln verwendet. Später verwendete man anstelle des Wachses sogenannte Oblaten (runde weiße Papierflächen), welche auf das Papier aufgeklebt und dann unter hohem Druck mit Hilfe von Hitze (wie beim Gaufrieren) zu einem Relief, dem Abdruck, verformt wurde.

Der Siegelmissbrauch wurde durch die Aufbewahrung bei eigens für diesen Zweck eingesetzten hohen Beamten verhindert, den Siegelbewahrern. Aus dieser Aufgabe wurde später ein Amt und ein Titel (siehe Lordsiegelbewahrer in England).

Siegelkapseln sind meist aus Holz oder Metall gefertigte Schutzhüllen für Siegel. Insbesondere in der römischen Zeit wurden sie verwendet, um die Siegel an Dokumenten wie etwa an Wachstafeln zu schützen.

Siegeltöpfe sind Näpfchen (meist aus Metall), die an einem Behältnis (z. B. einem Tresor) angebracht sind, um Siegelschnüre und Siegel (meist Abdrücke in Plastilin) aufzunehmen. Sie dienen der Identifikation von Personen, die das Behältnis geöffnet und wieder verschlossen haben.

Formen von Siegeln

Mit einem Griff versehen, wird ein Siegelstempel auch Petschaft genannt – älter sind Siegelringe und Compartimentsiegel[3] (Metallsiegel mit Griff[4]). Das Siegel selbst kann auf die Urkunde gedrückt oder durch einen Schnitt im Pergament durchgedrückt sein. Angehängte Siegel sind an Schnüren aus Hanf, Seide, anderen Stoffen oder Pergamentstreifen befestigt. Diese Pergamentstreifen, Pressel genannt, wurden, wie auch die Schnüre, häufig durch einen Pergamentumbug, der Plica, gezogen, um den Halt im Pergament zu erhöhen und ein Ausreißen zu verhindern.

Die in Europa häufigste Form ist das Rundsiegel, während beispielsweise die chinesischen Yinjian rechteckig sind – die japanischen Hanko sind ebenfalls rund.

Andere Ausführungsformen mit Siegelfunktion sind Aufkleber wie das Pfandsiegel (umgangssprachlich auch Kuckuck genannt), die an Kfz-Kennzeichenschildern angebrachte Zulassungsplakette, Plomben an Verschlüssen und Geräten, Sicherungsstempel an Messgeräten, Siegelmarken und Siegelbänder.

Notare verwenden zum Verbinden von mehrseitigen Urkunden eine Siegelschnur, deren Enden mit einem Prägesiegel aus Papier und einer Oblate gesichert sind.

Spezielle Siegel und weitere Fachbegriffe

  • Rollsiegel – erstmals in Sumer verwendet
  • Siegelring – im Fingerring untergebrachter Siegelstempel
  • Reitersiegel – stellt den Siegelführer oder die Siegelführerin (Damenreitersiegel) zu Pferd dar, männliche Siegelführer i. d. R. geharnischt und in Waffen
  • Gemmensiegel – Siegel mit dem charakteristischen Abdruck einer Gemme (häufig in Verbindung mit einem Siegelring), die entweder antiken oder zeitgenössischen Ursprungs sein kann; so verwendeten z. B. die frühen karolingischen Könige antike Gemmen zur Besiegelung ihrer Urkunden.
  • Großes Siegel – das Hauptsiegel einer Körperschaft, das für die Besiegelung wichtigster Urkunden verwendet wurde
  • Kleines Siegel – zur Beurkundung kleiner, alltäglicher Rechtsgeschäfte; aus dem Sekretsiegel hervorgegangen
  • Dienstsiegel – Amtliche Siegel zur rechtsverbindlichen Kennzeichnung von Dokumenten oder zum Verschluss von Behältnissen oder Räumlichkeiten
  • Sekretsiegel, auch Geheimsiegel, wurde im Mittelalter als zweites Siegel zur Kontrolle und als nochmalige Echtheitsbestätigung auf die Rückseite des Hauptsiegels oder auch „Großen Siegels“ geprägt. Ursprünglich waren nur mit einem Sekretsiegel versehene Urkunden nicht rechtswirksam. Im Spätmittelalter fanden die Sekretsiegel dann aber akzeptierte Verwendung bei Beurkundungen alltäglicher und relativ unwichtiger Amtsgeschäfte und gingen somit im „Kleinen Siegel“ auf.
  • Rücksiegel – wurde auf die Rückseite des Hauptsiegels geprägt (siehe Sekretsiegel), nicht zu verwechseln mit den ebenfalls beidseitig gestempelten Bullen
  • Wappensiegel – häufig schildförmiges Siegel mit dem Wappenbild des Siegelführers, stellenweise als Kleines Siegel oder Rücksiegel verwendet
  • Rombildsiegel – Siegel mit einer bildlichen Darstellung der Stadt Rom, in der Regel Teil der Bullen von Königen und Kaisern des mittelalterlichen deutschen Reiches
  • Gemeinschaftssiegel – gemeinsames Siegel einer rechtlich verbundenen Körperschaft oder auch mehrerer Angehöriger eines Herrschaftshauses
  • Rundsiegel in Österreich (entspricht dem Rundstempel in Deutschland) – Behörden[5], Ziviltechniker, Architekten und gerichtliche Sachverständige dürfen ein Rundsiegel führen und damit Dokumente, Pläne, Gutachten etc. siegeln.[6][7]
  • Signet – privates Siegel, meist als Ring ausgeführt
  • Siegel im ostasiatischen Kulturkreis: Die chinesische Bezeichnung für Siegel lautet yín (印) oder túzhāng (图章). Die japanische Bezeichnung für Siegel ist Inshō (印章) oder Hanko (判子). Die koreanische Bezeichnung für Siegel ist dojang (도장). Diese Siegel werden geschäftlich und privat eingesetzt und sind oft wichtiger als die eigenhändige Unterschrift. In manchen Fällen wird gar nur das Siegel als Beglaubigung akzeptiert.

Spezielle Siegel:

In weiterem Sinne:

Beispiele unterschiedlicher Siegel

Siegel im privaten/bürgerlichen Bereich

Siegelstempel und Typare für den Gebrauch mit Siegellack (Petschafte, Siegelringe etc.) werden im privaten/bürgerlichen Bereich nur noch von verschiedenen Postdienststellen für den Versand von Wertsendungen (Wertbriefen oder Wertpaketen) zum Verschluss der Sendung gefordert (in Deutschland bis 2010).

Eine Vorschrift für die Gestaltung der Typare besteht meist nicht, wobei Abdrücke von Münzen und Knöpfen regelmäßig unzulässig sind.

Ansonsten dienen Siegel meist nur noch zur stilvollen Ausgestaltung von Ehrenurkunden und privater Korrespondenz.

Ein privates Verschlusssiegel (auch eine Plombe (Siegel) oder Siegelmarke) an einem Behältnis oder an einer „geschuppten“ Urkunde, auch mit Ösen, Faden und Siegel verbundenen Urkunde, lässt erkennen, dass der Aussteller eine Manipulation des Schriftstückes nicht wünscht und es in der vorliegenden Form einmalig geschaffen wurde.

Rechtliches

Rechtlich ist jedes dienstliche „Siegel“ einzigartig, gegenüber beliebig herstellbaren „Stempeln“ – es verhält sich hier ähnlich wie bei dem Unterschied zwischen Fahne (einzigartig) und Flagge (ersetzbar). Wer es führen darf, ist eigens geregelt. Der Siegelbruch, das unberechtigte Zerstören eines Siegels, das durch eine Behörde, einen Amtsträger oder sonst dienstlich angebracht wurde, ist in Deutschland strafbar (§ 136 Abs. 2 StGB). Ebenso ist es nicht erlaubt einen Stempel zu verwenden, der mit dem Siegel eines Amtsträgers oder einer Behörde verwechselt werden kann. Ein unbrauchbar gewordener Siegelstempel einer Behörde darf nur unter Hinzuziehung eines Zeugen und mit einem entsprechenden Protokoll vernichtet werden. Die Ausmusterung von Siegelstempeln wird in den jeweiligen Amtsblättern veröffentlicht. Zu diesem Zweck haben Siegelstempel eine einzigartige Nummer.

Siehe auch

Literatur

Handbücher:

  • Toni Diederich: Rheinische Städtesiegel (= Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Heimatschutz, Jahrbuch 1984/85). Neuss 1984, ISBN 3-88094-481-4.
  • Toni Diederich: Siegelkunde: Beiträge zu ihrer Vertiefung und Weiterführung. Köln 2012, ISBN 978-3-412-20956-8.
  • Wilhelm Ewald: Siegelkunde (= Georg von Below, Friedrich Meinecke [Hrsg.]: Handbuch der mittelalterlichen und neueren Geschichte. Band 4). R. Oldenbourg, München / Berlin 1914 (archive.org – Nachdruck München 1978).
  • Erich Kittel: Siegel (= Bibliothek für Kunst- und Antiquitätenfreunde. Band 11). Braunschweig 1970 (mit umfangreicher Bibliographie S. 468–509).
  • Michel Pastoureau: Les sceaux (= Typologie des sources du moyen âge occidental. Band 36). 1981, ISSN 0775-3381.
  • Andrea Stieldorf: Siegelkunde (= Hahnsche Historische Hilfswissenschaften. Band 1). Hannover 2004, ISBN 3-7752-6132-X.
  • Das Siegel. Gebrauch und Bedeutung. Hrsg. von Gabriela Signori. Darmstadt 2007 ISBN 978-3-534-20682-7

Tafelwerke:

  • Wilhelm Ewald: Rheinische Siegel (= Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde. Band 27). Bonn (6 Bände, 1906–1941).
  • Aldo Martini: Die Goldsiegelsammlung aus dem Geheimarchiv des Vatikans: Katalog der Ausstellung in der Bayerischen Landesbank München. 1989 (ohne Ort).
  • Friedrich Philippi: Siegel (= Urkunden und Siegel in Nachbildungen. Band 4). Berlin 1914.
  • Otto Posse: Die Siegel der deutschen Könige und Kaiser von 751–1913. Dresden (Wikisource – 5 Bände, 1909–1913).
    • Band 1: 751–1347. Von Pippin bis Ludwig den Bayern.
    • Band 2: 1347–1493. Von Karl IV, bis Friedrich III. Mittelalterliche Fälschulgen. Landfriedenssiegel.
    • Band 3: 1493–1711. Von Maximilian I, bis Josef I.
    • Band 4: 1711–1806, 1871–1913. Von Karl VI bis Franz II, Wilhelm I bis Wilhelm II. Reichsvikariat, Reichskammergericht. Kurfürstenkollegium, Nachträge.
    • Band 5: Das Siegelwesen der deutschen Kaiser und Könige, von 751 bis 1913. (Textband)
  • Pietro Sella: I sigilli dell’Archivio Segreto Vaticano (= Inventari dell’Archivio Segreto Vaticano. Band 1–3). Vatikan (1937, 1946, 1964).

Hilfsmittel und Bibliografie:

  • Eckart Henning, Gabriele Jochums: Bibliographie zur Sphragistik. Schrifttum Deutschlands, Österreichs und der Schweiz bis 1990 (= Bibliographie der Historischen Hilfswissenschaften. Band 2). Köln 1995, ISBN 3-412-08695-9.
  • Vocabulaire international de la sigillographie (= Pubblicazioni degli Archivi di Stato, Sussidi. Band 3). Rom 1990.

Sonstige:

  • S. Baghestani: Metallene Compartimentsiegel aus Ost-Iran, Zentralasien und Nord-China (= Archäologie in Iran und Turan. Band 1). Rahden/Westf. 1997.
  • Dominique Collon (Hrsg.): 7000 Years of Seals. London 1997.
  • M. I. Marcus: Emblems of Identity and Prestige: The Seals and Sealings from Hasanlu, Iran. Commentary and Catalog (= University Museum Monograph 84: Hasanlu Special Studies III). Philadelphia 1996.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch. de Gruyter, Berlin / New York 1995, ISBN 3-11-012922-1.
  2. Egon Friedell: Kulturgeschichte des Altertums. Kulturgeschichte Ägyptens und des Alten Orients. München: dtv 1982.
  3. S. Baghestani: Metallene Compartimentsiegel aus Ost-Iran, Zentralasien und Nord-China (= Archäologie in Iran und Turan. Band 1). Rahden/Westf, 1997.
  4. Vgl. Erika Bleibtreu: Iran in prähistorischer und frühgeschichtlicher Zeit. In: Wilfried Seipel (Hrsg.): 7000 Jahre persische Kunst. Meisterwerke aus dem Iranischen Nationalmuseum in Teheran: Eine Ausstellung des Kunsthistorischen Museums Wien und des Iranischen Nationalmuseums in Teheran. Kunsthistorisches Museum, Wien 2001, S. 76–185, hier: S. 77.
  5. Entscheid des Verwaltungsgerichtshofes
  6. Rundsiegel auf www.gerichts-sv.at
  7. Berufseid / Siegel / ZT-Ausweis auf wien.arching.at, inzwischen ist die Form des Siegels freigegeben. Als Begriff wird aber immer noch „Rundsiegel“ verwendet.